Ein Selbstportrait 82 x 49

 

 

 

von oben von d rundiert sich auf idlichen Seiten hinab das Haupt auf die zwerch Lini j an die zwei Lini a b (Albrecht Dürer)

 

 

 

Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Mondgesicht!

 

 

 

Das Stück ist zum Teil eine Hommage an Dürer, meine erst Jugendliebe. Es werden Texte von ihm im Stück wiedergegeben und die Maßangaben im Titel beziehen sich auf Dürers Münchner Selbstportrait von 1500, das er im Alter von 29 Jahren fertig stellte. Zum anderen Teil ist es eine Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, in Bezug auf die Wurzeln, das Woher-ich-Komme, das Bleiberecht und das Wohin-ich-Gehe.

 

 

 

 

Von der Großmutter hab ich die Nase. Soviel steht fest. Da kann ich das Blut doch nicht einfach so auswaschen wie einen schmutzigen Lappen. Man kann es nicht auswaschen. Es wäscht sich nicht aus.

 

 

Nase ist Nase! Nichts weiter als ein rotzfrech hervorstechender Ausdruck – ein herausgeschneuzter Vorgang mitten in deinem Gesicht.

 

 

Die Nase zeuch auch zwischen den zweien Linien h j in ihrer vorgeschriebenen Höch, also daß die Nasbälle die zwu Lini h j anrühren. Aber das Vorder der Nasen ist breit ein Halbteil van der Weiten h j . Darum zeuch sie mit aller Gestalt natürlich. (Albrecht Dürer)

 

 

 Und wenn ich ein Bild hinterlasse, das der menschlichen Kreatur sein schönstes Ende anzeigt, so ist es nicht von grober Gewalt bestimmt.

 

 

 

 

Identitätssuche auf einer Leinwand

 

Vorbericht der Rhein Main Presse

 

sp. – Das neue Stück von Silvia Kiefer scheint so ungewöhnlich zu sein, wie es der Titel bereits ankündigt. "Ein Selbstportrait 82 x 49" ist bereits die siebte Produktion der Dramatikerin, die seit 1993 ihre Stücke zusammen mit der Theatergruppe "part of … " inszeniert und zur Bühnenreife bringt.

 

Kurz zum Inhalt: Die Malerin Eycke, vor einer leeren Leinwand stehend, versucht, ein künstlerisches Konzept für ihr Selbstportrait zu finden. In der direkten Auseinandersetzung mit sich selbst werden die vielen Facetten ihres Wesens aktiviert, gewinnen Gestalt, um in einen konfliktgeladenen Dialog zu treten. Eycke wird somit zu einem multiplen Wesen, dessen alte egi von nun an das Bühnengeschehen bestimmen.

 

Kiefer charakterisierte die Bühnengestalten wie folgt: Die Malerin, deren Selbstreflexionen szenisch umgesetzt würden, gebe dem Stück den Handlungsrahmen. Die "Meisterschülerin" symbolisiere das Festhalten am Ewiggestrigen, was die antiquierte Sprache dieser Figur dokumentiere. In ihr spiegele sich der Konflikt der Malerin, sich der Tradition nicht ganz entledigen zu können. Die "alte Prinzessin" verkörpere die passive Seite Eyckes, die voller Sehnsüchte und Wünsche vergeblich auf das große Glück warte. Ein "Dirndl" hingegen stehe im Gegensatz dazu für Wollen und Wollust, und der "mütterliche Sekretär", quasi eine Hosenrolle, dokumentiere Modernität, die auf Anpassung und Konformismus aufbaue.

 

Kiefers Stück teilt sich in zwei Bilder und drei Spielebenen – die Leinwand, die Malerin und ihre Reflexionen, die in Kommunikation treten. Nadine Michalk (Eycke), Heike Netscher (Dirndl), Anna Lehr (Sekretär), Heike Berg (alte Prinzessin), Torsten Gronau ( Aktmodell) und Patricia Johannbroer (Meisterschülerin) haben seit Februar intensiv an dem Stück von Kiefer gearbeitet und geprobt. Selbst die Kostüme wurden von der Gruppe entworfen, wie Netscher erwähnte.

 

 

 

 

Part of … – freies Theaterensemble hatte Premiere am 24. April 1998 in der ESG, Evangelischen Studentengemeinde, Mainz. Weitere Aufführungen fanden statt am 25., 28. Und 29. April 1998

 

 

Es spielten:

 

Eycke / Nadine Michalk

 

Dirndl / Heike Netscher

 

Aktmodell / Torsten Gronau

 

Sekretär / Anna Lehr

 

Alte Prinzessin / Heike Berg

 

Meisterschülerin / Patricia Johannbroer

 

 

Text und Inszenierung / Silvia Kiefer

Kostüme / Heike Netscher / Hede Netscher

Maske / Heike Netscher

Lichtkonzeption / Michael Ambach

Fotos / Felix Pielmeier

 

 

 

 

Roland Furch schrieb in der Mainzer Rheinzeitung:

 

Aus Tanten und Cousinen Ragout bereitet

 

Silvia Kiefer inszenierte "Ein Selbstportrait" zwischen Mädchenfantasien und Kunsttheorie

 

Die Malerin Eycke quält sich mit einem Selbstportrait. Zu viele Teilpersönlichkeiten ringen im Innern der Malerin um die Vorherrschaft, als dass es ihr gelingen könnte, sich einen künstlerisch gestalteten Spiegel vorzuhalten. So ließe sich, grob gefasst, das Thema … zusammenfassen.

 

… "Ich bin mir selbst Besuch genug", stöhnt Eycke (Nadine Michalk) inmitten des Trubels einmal auf, und als Zuschauer möchte man in den Stoßseufzer am liebsten einfallen. Das scheint nämlich genau das Problem zu sein: Die Frau bräuchte Anregungen, um aus ihrem engen Selbstgefängnis auszubrechen.

 

Ihre Gedanken kreisen um Mädchenfantasien und ein wenig Kunsttheorie, um Verwandtschaftspsychologie und nackte Ärsche. Dabei stößt sie aber kaum in Regionen vor, die auch für Publikum interessant oder gar relevant sein könnten.

 

Prinzessin fordert Prinzen

 

Sicherlich wirkt es eine Weile ganz neckisch, wenn man Eyckes Innenleben personalisiert über die Bühne spazieren sieht: Da fordert die alte, aber noch nicht wirklich abgedankte Prinzessen (Heike Berg) ihren Märchenprinzen ein, ein Sekretär (Anna Lehr) müht sich darum, das innere Chaos ein wenig zu ordnen. Eine Meisterschülerin (Patricia Johannbroer) peinigt die Künstlerin mit theoretischen Forderungen, um eventuell schlummernde Inspirationen von vornherein in ein lehrbuchmäßiges Konzept zu zwängen, und das unbekümmerte Dirndl-Mädchen (Heike Netscher, die schauspielerisch am meisten überzeugte) fährt immer wieder naiv zwischen all die Kopflastigkeit.

 

Ein besonderes Schmankerl fürs Publikum bietet das Aktmodell (Torsten Gronau), das seiner Bestimmung entsprechend bekleidet ist, nämlich meistens gar nicht. Aber einzelne gute Ideen verpuffen in einem Ganzen, das mit überladener Symbolik Tiefe erzeugen will.

 

Da versucht sich die Protagonistin etwa mit einer Mahlzeit der besonderen Art von der Verwandtschaft zu emanzipieren: Aus Puppen, die Voodoo-artig Platzhalterstellen für Tanten oder Cousinen einnehmen sollen, bereiten Eycke und ihre Teilpersönlichkeiten ein unappetitliches Ragout. Zum Glück sieht Eycke anschließend ein, dass sie sich zudem von ihrem wirren Eigenleben befreien muss, und versucht, ihre Teilpersönlichkeiten in Pension zu schicken. Als auch das nichts hilft, muss zu noch stärkeren Mitteln gegriffen werden: " Ich liebe dich", gesteht das Aktmodell mit einem scharfen Beil in der Hand.

 

Mit dem Beil zugeschlagen

 

"Also schlag zu" bittet Eycke – ein Wunsch, den der Liebste gern erfüllt. Insofern bleibt Hoffnung: Die Malerin scheint verstanden zu haben – sofern dieses symbolisch ausgedrückt werden sollte – dass sie sich erst ganz verlassen müsste, um schließlich, erneuert, zu sich selbst zurückfinden zu können.