I LOVE NIETZSCHE

 

 

 

Schmerzen. Schmerzen. Schmerzen. Es ging und geht erbärmlich. Mein Zustand ist so fürchterlich und unheimlich. Sehr unruhiges Wetter. In dieser Schneeluft vermisse ich die warmen Handschuhe. Ich friere so: Strümpfe! Viel Strümpfe! Ein Docht für die Lampe, ein Kämmchen (mit Bürste) für die Tasche, etwas alte Leinwand für die Wunden. Und Pfefferkuchen!!!

 

 

 

 

 

Theaterstück in 4 Bildern

 

Sally verlässt ihre Familie im Heute und macht sich auf die Suche nach Nietzsche. Sie geht ins bäuerliche Sils-Maria um 1885. Da sie ihn dort nicht findet, begibt sie sich in ein hochherrschaftliches Basel des 19. Jahrhunderts. Letztendlich landet Sally in einer Irrenanstalt, wo sie einen vermeintlichen Nietzsche trifft …

 

 

 

 

– Ach, jetzt hören Sie schon auf! Lassen Sie den jungen Mann in Ruhe! – Sehen Sie denn nicht, dass er weint?! … – / Kommen Sie, ich bringen Sie von hier weg! Nein? – Haben Sie nie daran gedacht, von hier weg zu gehen? – Ich könnte sofort von hier verschwinden. Schnipp! – und schon bin ich weg! – Da muss ich gar nicht lange drüber nachdenken. Schnipp! Und schon bin ich in Paraguay! – Willst du ein Stück Schokolade? – Habe ich von der Oberschwester. Die kann mir gar nichts abschlagen, die dumme Kuh! Schnipp! – und ich krieg, was ich will! Schnipp! – was ich will, das kann ich auch haben. Musst nur fragen …

 

– Hast du meine Braut gesehen?

 

– Nee! – Willst du eine Zigarette?

 

Er will aber nicht. Die Hysterische kommt als Tarantellatänzerin, macht den Musik-Recorder an und tanzt so durch den Raum … Der Andere macht aber demonstrativ den Recorder wieder aus. Der Seiltänzer:

 

– Sieh nur, wie das Fest verfliegt! Wie der Sturm die letzten Lieder fallen lässt und weiterzieht …

 

– Aber das Fest hat doch noch gar nicht begonnen!

 

 

 

 

 

Es spielte part of … – freies Theaterensemble

 

1. Bild – Heute

 

die Verlobte / Anne Waninger

der Verlobte / Michael Bung

die Mutter der Verlobten / Steffi Amberger

die Großmutter der Verlobten / Verena Knopp

der kleine Bruder der Verlobten / Konrad Büttner

Sally, die Schwester der Verlobten / Patricia Johannbroer

 

 

 

2. Bild – Sils-Maria

 

die Magd / Verena Knopp

die Wirtin / Ute Weber

Bürli / Stefan Schenkel

der Großvater / Tobias Jung

Sally / Patricia Johannbroer

 

 

 

3. Bild – Basel

 

die Hausherrin / Steffi Keppler

der Hausherr / Michael Bung

die Schwieger-/mutter / Steffi Amberger

Tilda, das Hausmädchen / Verena Knopp

eine junge Freundin des Hauses / Anne Waninger

ein junger Freund des Hauses / Stefan Schenkel

Drehorgelspieler, Bahnhofsvorsteher / Konrad Büttner

Sally / Patricia Johannbroer

 

 

 

4. Bild – In der Irrenanstalt

 

der Patient F.N. / Tobias Jung

die Oberschwester / Ute Weber

der Junge / Konrad Büttner

der Seiltänzer / Michael Bung

die Frau mit der Puppe / Steffi Keppler

die Hysterische / Steffi Amberger

die Fanatische / Verena Knopp

die Ärztin / Anne Waninger

der Arzt, der Andere / Stefan Schenkel

Sally / Patricia Johannbroer

 

 

Projektleitung / Heike Netscher

Licht, Technik / Bernd Lauer

Text, Regie / Silvia Kiefer

 

Susann Zaum dankten wir herzlichst für die Übersetzung der Silser Szene ins Swyzerdütsche

 

 

Stück unter Verwendung von Originalzitaten und Anregungen aus: Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe. Hrsg.: Colli/Montinari; dtv, München. Friedrich Nietzsche. Chronik in Bildern und Texten. Hrsg.: Stiftung Weimarer Klassik, dtv, München; u.a.

 

 

Premiere 23. November 2002 in der Alten Patrone, Mainz. Weitere Aufführungen fanden statt am 24., 29. Und 30. November 2002, außerdem in Darmstadt Theater Moller Haus am 14. und 15. Februar 2003

 

 

 

 

 

Oliver Pahl schreibt in der Mainzer Rheinzeitung:

 

Die bewegte Odyssee durch Zeit und Raum

 

Das Theaterensemble "Part of …" in der Alten Patrone auf der unterhaltsamen Suche nach Nietzsche

 

Es ist das musikalische Leitmotiv von Stanley Kubricks "Odyssee im Weltraum", mit dem Sally (Patricia Johannbroer) auf der Bühne vorgestellt wird. Der Haarzopf ist um den Kopf gebunden, der lange Mantel und der Koffer in ihrer Hand deuten auf den Beginn einer Reise hin. Zeit- und raumlos, wie "out of space", blickt sie ins Scheinwerferlicht, kräuselt die Stirn und stapft über die Bühne, während die Familie im wahrsten Sinne am Boden liegt.

 

Dann wacht der Familienbetrieb auf. Es soll die Verlobung der Schwester (Anne Waninger) gefeiert werden. Aber Sally ist mit den Gedanken ganz woanders. "Sie steht da, als ob sie gar nicht dazugehört", kreischt die Schwester. Ehe die Feierlichkeiten beginnen, macht sich Sally auf den Weg. Sie will Professor Nietzsche finden. Und hier beginnt auch die bewegte Odyssee durch Raum und Zeit.

 

Eine Odyssee mit vielen Teilnehmern: Kein Platz war mehr frei, als das Theaterensemble "Part of" sein Stück "I love Nietzsche" jetzt erstmals in der Alten Patrone spielte und sich das begeisterte Publikum gute zwei Stunden mit der Protagonistin Sally auf die Suche nach Nietzsche begab.

 

Im schweizerischen Sils-Maria um 1885 trifft Sally auf eine Bauersfamilie, die ihr Unterschlupf gewährt. Auch Professor Nietzsche fand hier schon Unterschlupf, um seiner Arbeit zu frönen. Die Wirtin (Ute Weber), die Magd (Verena Knopp), der Großvater (Tobias Jung) und der Bürli (Stefan Schenkel) – sie alle haben Geschichten über den Professor zu erzählen und geben Einblick in dessen Gemütszustände. Weiter geht es ins Basel des 19. Jahrhunderts. Aber auch hier ist Nietzsche nicht mehr anzutreffen.

 

Vor einem hochherrschaftlichen Anwesen sitzt Sally und wartet darauf, von den Besitzern etwas über den Professor zu erfahren. Doch das Hausmädchen (Verena Knopp), das den Besuch des "Fräuleins" ankündigt, wird von der Hausherrin (Steffi Keppler) immer wieder abgeschmettert. "Es hat nie einen Professor hier gegeben", lügt die Hausherrin und verliert sich in einen liebesleidlastigen Monolog.

 

Schließlich findet sich Sally in einer Irrenanstalt wieder. Neben einer Reihe diffuser Charaktere trifft sie auf einen Patienten (Tobias Jung), der sich Nietzsche nennt. Aber der scheint nicht so zu sein, wie sie ihn sich vorgestellt hat. Und so bleibt sie letztendlich allein auf der Bühne zurück.

 

Autorin und Regisseurin Silvia Kiefer ist mit "I love Nietzsche" ein recht kurzweiliges Stück gelungen, das mit Nietzsche-Zitaten gespickt kleine Einblicke in das Leben und Schaffen des Philosophen gibt. Darüber hinaus ist es ein Stück, das von Aufbruch handelt und nicht zuletzt von der Suche nach sich selbst. Äußerst stimmig die Besetzung: Ohne weiteres nimmt man Patricia Johannbroers kindlichnachdenklicher Sally den inneren Drang ab, Nietzsche finden zu müssen.

 

Auch das restliche Ensemble (bemerkenswert: Konrad Büttner als kleiner Bruder und Junge) zeigt sich wandlungsfähig: So zeigt sich Verena Knopp als Großmutter, Magd, Hausmädchen und Fanatische, Stefan Schenkel schafft den fordernden Sprung vom geistig behinderten Bürli über den adeligen Hausfreund bis hin zum sadistischen Schwulen. Steffi Keppler ist als hochgeschlossene Hausherrin ebenso glaubhaft wie als kindlich verwirrte Frau mit der Puppe. Und Steffi Amberger, die zuvor noch als sorgende Mutter und Schwiegermutter zu erleben war, verkörpert in der letzten Szene eine köstlich abgedrehte Hysterische.

 

In der Irrenanstalt läuft das Ensemble zur Bestform auf, im Bühnenbild beweist Silvia Kiefer ein Gespür für Reduktion mit gleichzeitiger Liebe fürs Detail: Ein Tisch mit Stühlen reicht hier aus, um die Umgebung klar zu beschreiben. Und das funktioniert, weil Tischdecken und Geschirr sowie die Kostüme kleine Hinweise zu Ort und Zeit geben: Eine gelungene Umsetzung eines außergewöhnlichen Stückes.