Mister Yuan serviert Bihun Suppe oder Jobsuche und andere Fertiggerichte
Das Theater brachte nichts mehr ein. Die Frau sucht einen Job. Sie ist neunundvierzig Jahre alt, hat sich von ihrem Mann getrennt und lebt allein. Die Kinder sind aus dem Haus, wie man so schön sagt. Der Hund ist ihr geblieben, zu ihrem Leidwesen, Chihuahua, Kurzhaar, ein Überbleibsel aus der familiären Phase. Jetzt ist sie eine Frau mit Hund. Schwer zu ertragen, denn eigentlich wollte sie allein sein.
Jobsuche und andere Fertiggerichte
Doch der Beginn. Im Heute und Jetzt. Eine Jetztgeschichte, die sofort nach dem Aufstehen beginnt. Unerheblich, wie alt ich bin. Auch wenn das Spiegelbild wenig Zuversicht ausstrahlt, ich sage mir, das täuscht. Ich muss das Fenster öffnen und die dunklen Gedanken vertreiben.
Die Nacht war traumlos. Oder schwarz verhangen. Jedenfalls schob ich einen Riegel vor, weil sich die Träume seit Tagen gleichen und seit Wochen und Monaten in immer kürzer werdenden Abständen auftreten. Wer will das träumen. Seit Tagen stehe ich vor verschlossenen Türen und komme nicht hinein. Wohin auch immer, das spielt mittlerweile schon gar keine Rolle mehr. Ich stehe vor einer weiß lackierten Tür, sehe meinen Arm und meine Hand zum Greifen ausgestreckt, die Finger in aller Deutlichkeit auch fast am Türgriff, dann aber innehaltend.
Meine Geduld wird auf eine harte Probe gestellt. Zeit vergeht. Es dauert Ewigkeiten, bis ich mich abwende und vor der nächsten Tür in einem langen Gang stehe, der sich in Schlangenlinien perspektivisch, gehalten in einem Schachbrettmuster bis zum Horizont verjüngt, dass einem schwindelig wird. Der Schwindel wiederholt sich in einem Spiel unzähliger Türen, die keinen Eintritt gewähren.
Einmal meinte ich, die Anzeichen von Vergeblichkeit sich in Luft aufgelöst zu sehen, weil ich mich mit meinem Hund in einer Grünanlage wiederfand, und sicher in einer gewohnten Umgebung dachte, die sich dann aber wieder unaufhaltsam in ein surreales Bild verwandelte. Der Hund hatte einen guten Duft im Gras gefunden, war stehen geblieben und innig vertieft, als mein Blick auf die Tür fiel. Im wahrsten Sinne des Wortes auf die Tür fiel, weil die Tür auf dem Rasen lag. Seit diesem Tag verbiete ich mir das Träumen, verharre in gebückter Stellung, die Hand am Griff der Tür, die mit einem Ruck geöffnet sein will.
Nach einer kurzen Wäsche und ein paar gymnastischen Übungen für den verspannten Nacken und den Schulterbereich bin ich soweit. Gereckt und gestreckt. Das Leben kann, das Leben hat mich wieder im Griff, die Jobsuche kann weitergehen. Aber nicht bevor ich das Radio anschalte.
In den Nachrichten bringen sie die neuesten Arbeitslosenzahlen. Ein zart cremiger Brotaufstrich kommt mir in den Sinn, zum Frühstück, lecker, Nuss Nougat, hundert Prozent Schokoladengeschmack mit einem Mindestanteil von fünfzehn Prozent Haselnüssen aus garantiert ökologischer Landwirtschaft. Ich fluche in den schönen Morgen hinein mit Sonnenblumenöl, stark entölt, und Rohrzucker auf einem harten Brot.
Die Arbeitslosen sind nicht aus dem Bioladen. Da muss ich mich nicht wundern, dass ich keine Arbeit finde und entscheide mich für eine ausführliche Munddusche. Eine Entschuldigung soll das nicht sein, ein Angebot, eine Kriegserklärung? – Es folgt der Wetterbericht. Ich beuge den Rumpf und kreise einmal um mein eigenes Becken.
Der Himmel ist grau. Ich öffne die Augen, weit und den Mund zu einem lautlosen Schrei, entspanne nach einem Moment und wiederhole das Ganze noch einmal. Ich kneife mir kräftig in die Backen, klopfe mir unter das Kinn und reibe die Stirn.
Bin ich das? – Mit keinem Blick in den Spiegel und einem ppp, ohne den Vokal auszusprechen, mit einem kkk und einem ttt, das mir einen nickenden Kopf zeigt, beende ich die Lockerungsübungen der einzelnen Gesichtspartien und beginne mit dem Sprechgesang, der meine Stimme in den notwendigen Fluss bringt.
Ströme, laufe über … ein Zurück gibt es nicht, nur eine hohe und eine tiefe Stimmlage mit einem Dazwischen, worin ich mich bewege. Ganz egal, was im Radio kommt, ich singe und tanze, entweder mit oder gegen den Strom einer Melodie. Reggae, Soul oder Countrymusic – ich bleibe im Takt – es klappert und schappert und pengt.
Bewusst soll man es treiben und sich von Emotionen nicht forttragen lassen. BIM BAM BOM. Wichtig ist, dass sich die Lippen blähen. BLA BLA BLA. Und das Atmen nicht vergessen, BLO BLO BLO – so steht es in der Anleitung.
Ich atme ein, wiehere wie ein Pferd und fange an zu kichern. So geht das nicht! und rufe mich zur Ordnung. Mit einem Lirum, Larum, Löffelstiel bin ich versöhnt, applaudiere meinem kleinen Badekonzert und strecke die Arme in die Höhe. Das hebt die Stimmung und setzt einen morgendlichen Akzent. Das Blut zirkuliert, der Kopf ist frei, ich fühle mich lebendig. Atme aus. Möchte tot sein.
Ziehe mich an. Dann schalte ich das Radio ab und bin bereit, den Fragen eines möglichen Arbeitgebers am Telefon Rede und Antwort zu stehen.
Das Landesmuseum steht ganz oben auf meiner Liste. Sie suchen Aufsichtspersonal für die Sammlung in der Steinhalle. Exponate aus der Römischen Zeit. Steindenkmäler, in der Hauptsache Grabsteine von Soldaten, aber auch der damaligen Zivilbevölkerung. Ich kenne die Sammlung und halte mich gern dort auf zwischen den Säulen und Kapitellen, den Köpfen und Plastiken. Zwischen Marcus, Quintus und Valerius und wie sie alle hießen, den lang Gedienten und den jung Verstorbenen.
Dem Silius wurde ein ganz besonderer Stein gehauen. Er selbst ist abgebildet in bequemer Kleidung auf einer Liege ruhend, vor ihm ein Tisch mit Trinkgeschirr und ein Sklave, der ihn bedient. Auf einem weiteren Bild das Pferd des Legionärs, von einem Burschen geführt. So lässt es sich leben.
Auch der Grabstein eines Ehepaares hat es mir angetan. Die Figuren eines Mannes und einer Frau, die in einer Nische, deren obere Wölbung muschelartig geformt ist, eng beieinanderstehen. Sie tragen schön gezeichnete Gewänder, und auch wenn die Füße der dargestellten Personen nicht mehr vorhanden sind, die Inschrift fehlt und die Gesichter nicht mehr zu erkennen sind, spürt man die große Nähe der beiden zueinander.
Sehr gut erhalten ist auch ein römischer Brunnen, der im Palast des Provinzgouverneurs gestanden haben muss und einen steinernen Fisch zur Zierde trägt.
Die Steinplastik eines etwa vierzig Zentimeter hohen Stieres kann ich mir sehr gut in meinem Wohngemach vorstellen. Die Figur des schweren muskelbepackten Tieres animiert dazu, die weichen Rundungen des Steins zu berühren.
Mit der Museumsdirektion verabrede ich ein Vorstellungsgespräch und lege zufrieden auf. Ich danke den Göttern Merkur, Jupiter und Mars. Das war sehr professionell. Ich gab Auskunft über mich und meine Fähigkeiten, die ich für den Job brauche und zeigte vor allem die Bereitschaft, am Wochenende zur Verfügung zu stehen. Wer schaut auf die Uhr? Ich will einen Job.
Die Wochenzeitung sucht eine Aushilfe für die Anzeigenannahme. Ich hinterlasse meine Telefonnummer, sie würden sich melden. Ich mache mir wenig Hoffnung und wähle die nächste Nummer, obwohl ich die Sache nicht ganz ernst nehmen kann. Ich dachte an einen Scherz, an eine verschlüsselte Botschaft oder eine versteckte Anspielung, aber der Wildkräuterexperte sucht einen Begleitservice für seinen Wildkräutergarten. Eine Hexe für den Lehrpfad. Tatsächlich. Ein Job ohne sexuellen Hintergrund, den ich zuerst vermutet hatte.
Die Lehrveranstaltungen seien gut besucht, erklärte er mir, und ob ich für das notwendige Äußere sorgen könnte. Nach kurzer Überlegung und der gedanklichen Suche in meinem ausgedienten Theaterfundus sprach ich von meiner Erfahrung als Burgfräulein und Schildknappe. Auch Elfen und Faune hätte ich schon dargestellt und auf einer Weinprobe dekorativ in der Ecke gestanden. Zum Beispiel, oder in historischen Kostümen des Mittelalters auf einem ländlichen Gutshof die Werbetrommel gerührt.
Die Theatergruppe gibt es zwar nicht mehr, aber im Keller würde sich das ein oder andere Kostüm sicher finden lassen. Er fragte nach meinem Sachverstand und mein Interesse für in Vergessenheit geratene Küchen und Heilkräuter. Ob ich den Giersch kenne, die Schafgarbe, das Hirtentäschel.
Wie alt ich sei. Ob ich gut zu Fuß sei und kochen könne. Ich dürfe nämlich nicht nur beim Pflücken der guten Kräuter helfen, sondern auch beim anschließenden Kochkurs. Nächste Woche begännen die Vorbereitungen für die kommende Saison. Es sei viel zu erledigen. Büroarbeit. Termine, Anmeldungen, Rezepte … Und später ginge es hinaus in die Natur. Ich sagte, ich würde mich freuen und an meiner Aufgabe wachsen. Wachsen und Gedeihen.
Ich suche einen Neuanfang, machte ich ihm klar, besäße eine gute Auffassungsgabe und Begeisterungsfähigkeit. Auch Zaubersprüche seien mir zu eigen. Mehr fiel mir nicht ein. Mein Alter hatte ich allerdings vergessen. Auch die Notizen. Ich wollte doch nach den Arbeitszeiten fragen, nach Wind und Wetter, bei jeder Gelegenheit? Wir haben Februar … – Zur Frage der Entlohnung ist es dann nicht mehr gekommen. Aber das Maiglöckchen sei extrem giftig, soviel konnte ich noch in Erfahrung bringen. Vielleicht würde er in Naturalien bezahlen. Das ist uns oft genug während der Theaterarbeit passiert.
Mehr war an diesem Vormittag nicht zu erreichen. Ich verspürte einen leichten Hunger, da ich auf das Frühstück verzichtet hatte. Ich zählte mein Kleingeld und machte mich auf die Suche nach einer warmen Mahlzeit. Was bleibt mir anderes übrig. Erinnerungen machen nicht satt. Bringen mich aber auf Trab. Eine gute Gelegenheit, aus dem Haus zu kommen, aus der Wohnung. Nur weg von den trüben Aussichten. Ein bisschen Bewegung kann nicht schaden, denke ich mir, sonst drehe ich mich im Kreis. Und dieser Kreis wird immer enger.
Die Schlinge zieht sich zu. Langsam wird es ungemütlich, und paradox, da ich mich bemühe, die Kreise auszuweiten und die Chance auf einen Arbeitsplatz zu erhöhen. Was habe ich nicht alles versucht, gemacht und getan. Umsonst. Jetzt steht mein Leben auf dem Spiel. Vielleicht auf der Kippe. Ich schaue in den Abgrund und hoffe auf eine spannende Unterhaltung. Die Hölle bietet ein gutes Programm: Anschluss verpasst! steht in Leuchtbuchstaben über dem Eingang.
Augen zu und durch. Mit dieser Plattitüde versuche ich mir Mut zu machen und die Sache herunterzuspielen. Ich bin zu alt – das hört sich wahrscheinlich dramatischer an, als es ist, da ich vor der Zukunft keine Angst habe. Ich habe mein Leben gehabt, meine Liebe, meine Kinder … das Haus und den Garten. Den Hund. Das Problem ist nur, dass ich in dieser Zeit nicht gearbeitet habe. Sagt man, hört man oder bilde ich mir das ein? Aber ich finde keinen Job. Also habe ich ein Problem.
Die Betonung liegt auf meinem Alter – was mir ganz und gar nicht gefällt. Abhängig zu sein von diesen Äußerlichkeiten. Da verliert sich jedes positive Denken im grauen Haaransatz. Obwohl ich das natürlich als eine Herausforderung betrachten könnte. Allerdings fühle ich mich nicht etwa verjüngt, nur weil ich einen Neuanfang wage. Ganz im Gegenteil, ich bin erschöpft, da dieser Neuanfang schon eine gewisse Zeit dauert und ich nicht weiß, wohin die Reise geht. Daran bin ich nicht gewöhnt. Auch nicht, dass meine Zukunft von der Lage eines Arbeitsmarktes abhängt. Eine Zumutung ist das. Und die Angst überwiegt, dass, falls ich der pessimistischen Betrachtungsweise verhaftet bleibe, ich den Elementen der Wirtschaftskrise auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein werde. Selbst wenn das mittlerweile zu einem Volkssport geworden ist – es macht trotzdem keinen Spaß. Ich färbe meine Haare blond.
Öffne am Briefkasten das Kuvert mit den Bewerbungsunterlagen, obwohl ich weiß, dass mir eine neuerliche Absage den Vormittag verdirbt. Nicht so schlimm, denkt die viel Zeit Habende. Das Essen kann warten. Für die Lösung meiner Geldprobleme habe ich weniger Zeit.
Dass es sich um meine Bewerbungsunterlagen handelt, kann ich am Umschlag erkennen und auf dem Absender sehen, dass aus dem Job in der Seniorenresidenz nichts geworden ist. Die Residenz hatte eine Küchenhilfe gesucht, sich aber für eine Mitbewerberin entschieden. Die Stelle ist anderweitig vergeben worden. Bei einer Vielzahl von Bewerbungen hatten sie die Qual der Wahl.
Ich lese nur mehr flüchtig über diese Antwortschreiben, die ich in einem Ordner abhefte, der stetig in seinem Umfang wächst und gedeiht, ohne dass ich eine Freude daran hätte. Füttere ihn mit unzähligen Varianten der immer gleichen Mitteilung: Wir müssen Ihnen leider, zu unserer Entlastung, bedauerlicherweise …
Für Ihren weiteren Lebensweg … – Vielen Dank für die tröstenden Worte. Es nutzt rein gar nichts. Ich muss mir selbst zu helfen wissen. Auch mache ich mir längst keine Gedanken mehr um die Mitbewerber und was sie mir voraushaben könnten. Schönheit, Jugend, vielleicht ein bisschen mehr Erfahrung, ein fundierteres Wissen, die besseren Beziehungen.
Zeugnisse, Empfehlungen … Ich stehe nicht nur mit meinen beruflichen Qualifikationen im Wettbewerb, sondern hoffe auf das bisschen Glück, worauf es wahrscheinlich gar nicht ankommt. Man kann nur spekulieren und sinnlos seine Zeit vergeuden.
Ich muss lernen, auch ohne Job und geregeltes Einkommen über den Tag zu kommen. Mein Mann hilft mir zur Not. Nicht, dass es mir recht wäre. Wir leben getrennt.
Jeder Tag ist neu, jeder Tag ist anders. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt. In meinem Alter. Die letzten Reserven sind bald aufgebraucht. Wovon ich leben, wie ich leben soll, ohne meinem Mann auf der Tasche zu liegen, ist mir ein Rätsel.
Ich habe einiges unternommen, seit ich mich von meinem Mann getrennt habe. Auch im Hotelfach mich versucht und vorgestellt für den Service im Frühstücksraum. Das Central Hotel Eden am Bahnhofsplatz hatte inseriert.
Eine weiße Bluse hatte ich mir gekauft und zum Vorstellungsgespräch einen Rock angezogen. Fühlte mich ganz passabel. Das Haus gefiel mir und war ganz nach meinem Geschmack, weltoffen und international gebucht. Ein wenig ärmlich zwar und aus der Mode gekommen, aber passend dazu der rote Plüsch und die goldenen Spiegel in der Empfangshalle.
Eine Welt für sich. Über eine Holzstiege gelangt man in den ersten Stock, wo der Patriarch des Hauses seit dem Jahre 1889 hinter der Tür auf einem der roten Fauteuils sitzt und seit Anbeginn der Zeit mit der Zigarre in der Hand Besucher empfängt, die zu ihm vorgelassen werden.
Obwohl die Stufen mit einem schweren roten Teppich belegt sind, ächzte das Holz unter meinen Füßen und wollte nicht mehr jung werden. Ich konnte mir aber sehr gut vorstellen, ein paar Stunden in der Früh hier zu arbeiten, den Kaffee zuzubereiten, ins Frühstückszimmer zu bringen … – am Samstag frische Brötchen, am Sonntag einen Kuchen. Und wie ich den Blick durch den Frühstücksraum gleiten lasse, den Blick überall habe, auch fürs kleinste Detail. Dort auf dem Tisch am Eingang steht eine Kerze schief im Halter, auf einem anderen der Brotkorb nicht auf seinem Platz, die Servietten, gefaltet, gelegt, das Gedeck, Besteck, PIPAPO.
Aber sie haben mich nicht genommen. – Fish & Chips! Ja bitte mit Remoulade! Und einen kleinen gemischten Salat … – Ich muss versuchen, mich weiter einzuschränken und meine Bedürfnisse auf ein Minimum zu reduzieren.
Noch fühle ich mich gefordert. Im Moment kommt es doch einer Aufgabe, die man zu bewältigen hat, gleich. Den Kühlschrank schalte ich ab, damit er keine Energie verbraucht. Die paar Scheibletten kann ich auf die Fensterbank legen. Und in der Fischküche kann ich die Bestellung direkt am Tresen machen, gleich bezahlen und mir einen Platz an den Bistrotischen suchen, das spart die Bedienung.
Ein Leben auf Probe. Die Heizung an und aus. Nicht einmal der Tierarzt bleibt mir erhalten. Als ob es etwas zu bedeuten hätte. Ich will mich nicht unnötig verrückt machen. Die dauernde Krise. Es stört eben die alltägliche Routine. Die mir fehlt, das kann ich sagen. Mehr aber auch nicht. Die Praxis war ganz in der Nähe, schnell zu erreichen, aber die Tierärztin hat sich bis auf Weiteres verabschiedet, nimmt sich eine Auszeit und geht auf Reisen, nehme ich an. Der Text auf dem Anrufbeantworter lässt einigen Spielraum. Ob sie wiederkommt, bleibt vollkommen offen. Schöne Reise!
Ich muss mir einen anderen Tierarzt suchen. Der Hund braucht seine Herztabletten, aber auch das ist nur ein kleines Problem am Rande meiner Existenz.
Das Leben ist hart. Habe ich bei den Römern gelernt, in der Lateinstunde, Abendkurs in der Volkshochschule. Es hat mich aber nicht härter gemacht, sondern mit Achtung und Schrecken erfüllt, als ich sah, mit welcher Konsequenz die Römer das Leben und die Kunst, die Welt und den Menschen organisierten.
Eigentlich wollte ich auch die Griechen studieren, aber es fehlt mir die Ruhe und das notwendige Geld. Außerdem sollte ich vielleicht besser meine Englischkenntnisse auf den neuesten Stand bringen. Das würde die Chance auf einen Job in der Wirtschaft wahrscheinlich erheblich steigern. Und muss an meine Kinder denken. Meine Kinder gehen mir nicht aus dem Kopf. Ich möchte sie verwöhnen, unterstützen, auch mit dem notwendigen Kleingeld, dann wäre ich zufrieden. Eine Motivation, die mich vollauf beschäftig. Wie es mir gefällt. Und mir gefällt es hier in meiner neuen Wohnung. Ich brauche nur einen Job. Das kann so schwer doch nicht sein. Die Möbel habe ich doch auch besorgt, zusammengeschraubt, geleimt und gelackt. Ohne fremde Hilfe, die Kisten allein in die Wohnung geschleppt. Den Kampf ums Leben noch einmal gekämpft. Auf der Bühne des Lebens. Nicht in der Kunst.
Das Leben ist mir doch nicht fremd. Bevor ich Theater machte, war ich bei der Bausparkasse. Aber seit die Kinder auf der Welt waren, habe ich nicht mehr in meinem Beruf gearbeitet. Mein Mann brachte das Geld. Ich bewegte mich in der freien Szene und verschwendete keinen Gedanken an den schnöden Mammon. Feines Theater, das habe ich nun davon. Die Jungen sind mittlerweile einen Schritt weiter und kommen auch ohne Geld über den Winter. Wie die das machen …
Ich schrieb auch einen Frauenroman, den außer meinem Mann keiner lesen mochte. Soviel Theater. Schlimmer Zauber, schön wie eine Droge auf Zeit. Zusammen machten wir die Kinder.
Dass Kinder auch essen müssen … – Zum Glück hat mein Mann gekocht, sonst wären wir alle hungers gestorben. Geputzt und gespült habe ich, ansonsten hatte ich in der Küche nicht viel zu melden und war froh, als meine Kinder das Kochen lernten. Jetzt können sie sich selbst ernähren und sind auf meine Künste nicht mehr angewiesen. Und rühmen noch so manches Mal die Wassersuppe, die ich ab und an auf den Tisch stellte. Das Urteil fällt auch heute noch vernichtend aus. Ganz zu meinem Vergnügen. Exzellenter Geschmack, sagen die Kinder und schlagen mit der flachen Hand auf den Tisch.
Auch früher schon hatten die Kinder ganz appetitlich ausgesehen, hatten brav und manierlich am Tisch gesessen, bis endlich die Teller vor ihnen standen. Die Unterarme scharf an die Kante gelegt, den Löffel erwartungsfroh in der einen Hand, die andere zum Richterspruch erhoben, der alles andere als liebenswürdig ausfiel.
Wir haben es überlebt. Es, das Familienleben. Heute leben wir getrennt. Ich wollte allein sein. Mein Leben habe ich trotzdem behalten, mit allem, was an Erinnerungen dazugehört. Aber das Theater ist geschlossen und von den schönen wie von den nicht so schönen Erinnerungen kann ich nicht leben. Da wurde nichts angespart und nichts auf die hohe Kante gelegt. Da wurde Theater gemacht, und ich vergaß die Zeit, den Raum und das Geld. Bis niemand mehr auf der Bühne stand. Bis alle verschwunden waren und die Kinder die Hand aufhielten.
Ich will versuchen, eine gute Mutter zu sein und allen zeigen, wozu die Frau noch fähig ist und mich nicht länger auf der Brieftasche meines Mannes ausruhen, nur weil er mich mag. Das ist der Punkt, den ich mir jetzt vor Augen halten muss. Wachbleiben ist die Devise. Aufstehen muss ich, in viele Richtungen mich bewegen und sehen, wofür ich mich engagieren könnte. Was zu mir passt und meinen Lebensunterhalt verdienen. Und nicht dauernd einschlafen.
Schlafen, wenn der Hunger kommt. Der Hunger kommt, wenn ich müde bin. Müde vom Nachdenken, vom Grübeln in der Zeit, die mich umblättert wie eine gelesene Buchseite.
Als ich vom Essen komme, nehme ich eins von den unter den Briefkästen liegenden Wochenblättchen. Darin meine Zukunft liegen könnte. Doch hoffentlich nicht begraben. In diesem Blatt. Ein Service. Das Blatt kostet nichts, mehr kann ich mir auch nicht leisten. Das Abonnement der Überregionalen habe ich vor Wochen gekündigt. Ich werde also meine Fahne der letzten Chance in Ehren hochhalten und Stolz zeigen.
Haltung bewahren. Nur darauf kommt es an, und klemme mir das Ding unter den Arm. Aber meine Finger sind fettig von den Pommes, die ich gegessen habe. Druckerschwärze und Rot kleben wie Blut und ranziges Fett schwarz und schmierig an meiner Hand.
Ich bin in Aktion. Ein Handicap folgt dem nächsten. Und schon steht ein Nachbar hinter mir und möchte ins Haus. – Ich kann doch mit dem Nachbarn nicht über mein Handicap reden. Zeitung, Tasche, Kopf hoch, Gesicht im Schatten und Schlüsselsuche. Ich könnte Bäume ausreißen, kann aber den Schlüssel nicht finden. Mein Enthusiasmus lässt nach, ich schaffe an diesem Mittag nicht einmal die Treppe und nehme den Aufzug. Guten Tag! – Der Nachbar jagt an mir vorbei die Treppen nach oben. Ich muss aufpassen, dass ich von dem vielen Wind nicht ins Taumeln gerate und müde werde.
Im Aufzug fühle ich mich endlich geborgen. Es herrscht eine geschwinde Stille, die Hektik bleibt draußen. Die Fahrt dürfte ruhig länger dauern. Ich brauche dieses Innehalten, Anhalten, Staying Alive. Wie Blut spenden. Das dürfte auch ruhig länger dauern, wenn es nicht so makaber wäre. Ich will ja nicht makaber sein, aber der Aufzug dürfte ruhig stehen bleiben, ich würde mich hinlegen und schlafen. In der Zeit sein, vor mich hin. Aber diesmal bleibt er nicht stehen und oben angekommen höre ich den Hund hinter der Tür. Ich bin wieder da!
Was macht der Hund, wenn ich nicht da bin? Er döst, er schläft, er wartet auf einen Happen. So, der Hund ist versorgt. Ich setze mich an den Küchentisch, verzichte auf eine Süßspeise und schlage die Zeitung auf. Suche in den Kleinanzeigen nach Stellenangeboten und notiere mir ein paar Telefonnummern. Angebote gibt es genug. Ich werde telefonieren und hoffentlich einen Termin bekommen.