Die Geschichte der Enkelin von Adolf Hitler – ein Bild im übertragenen Sinn. Das Bild der Enkelin, ihrer Tochter, der Mutter und der Großmutter, die Hitler im Berchtesgadener Land trifft, wo sie eine Gastwirtschaft betreibt. Und obwohl es genügend Anlass gibt für Spekulation und viele Zeichen, die auf eine Verwandtschaft weisen, auch Talente, die eindeutig zuzuordnen sind – so kann es doch keine Gewissheit geben. Aber das Recht darauf, ein Herkommen zu haben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorwort

 

Mit dem vorliegenden Manuskript verhält es sich wie mit einem herrenlosen Hund, der einem auf der Straße über den Weg läuft. Man kennt den Streuner nicht, weiß nicht, woher er kommt und möchte schnell weitergehen, bevor er einem zu tief in die Augen schaut.

 

Im Tierheim konnte ich ihn nicht lassen. Zweimal bin ich noch hingegangen, aber niemand schien ihn zu vermissen, niemand wollte ihn nehmen, und beim dritten Mal – aber das nur am Rande. Ich will jetzt gar nicht von meinem Hund reden. Der Hund hat erreicht, was er wollte, jetzt habe ich ihn am Hals. Jetzt bin ich sein Frauchen. Weiß der Himmel, wie er das geschafft hat. Mittlerweile bin ich aber froh, ihn bei mir zu haben – was ich von dem Manuskript eben nicht sagen kann. Deshalb soll es in Ihre Hände gelegt werden.

 

Das Manuskript – ich fand die Biografie im Geheimfach eines alten Schrankes, den ich beim Trödler günstig, aber gut erhalten gekauft hatte. Ich war gerade umgezogen, hatte eine Scheidung hinter mir und freute mich darauf, meine neue Wohnung ein-zurichten.

 

Es fehlte ein Kleiderschrank. Etwas Altes sollte es sein, als Gegenstück zu den ansonsten modernen Möbeln. Der Schrank war wie gesagt günstig erworben, ich musste ihn also selbst ein wenig aufpolieren, die rau gewordenen Stellen abschmirgeln und mit Bienenwachs einreiben. Sämtliche Schubladen mussten herausgenommen und zurechtgerückt werden. Eine Schublade klemmte besonders, also nahm ich sie genauer unter die Lupe, und entdeckte das Geheimfach. – Ich bin kein besonders neugieriger Mensch und wollte den Packen Papier nach einem kurzen Durchblättern der lose gebundenen Seiten auch schnellstens entsorgen.

 

Ich lebte allein in einer neuen Wohnung, es war ein neues, aufgeräumtes Leben und dieses Gefühl wollte ich so kurz nach der Scheidung mit niemandem teilen. Ich fühlte mich aber plötzlich nicht mehr allein, es war, als hätte sich eine Mitbewohnerin eingeschlichen, obwohl mich nach niemandem verlangte. Zum damaligen Zeitpunkt hätte auch der Hund ganz schlechte Karten gehabt.

 

Die Renovierungsarbeiten waren so gut wie abgeschlossen, der Schrank sozusagen die letzte Aktion, das besondere Stück nach all der Anstrengung, die ein Umzug so mit sich bringt. Das gepackte Bündel legte ich zum Altpapier, und nahm es dann doch wieder heraus. Mein Hund lächelt mich hintergründig an, ja was soll ich sagen, man kann doch mal reinschauen, dachte ich, ganz unverbindlich, was solls. Warum sollte ich mich von einem Packen Papier in Unruhe versetzen lassen.

 

Da hatte also jemand seine Biografie geschrieben – eine Fremde, die ihr Leben vor mir ausbreitete. Ich fand nämlich nicht heraus, wie diese Frau heißt, man weiß auch nicht genau, wie alt sie ist und wo sie gelebt hat. Ob sie überhaupt noch lebt, entzieht sich meiner Kenntnis. Es gibt keine Unterlagen, nur das Manuskript.

 

Sie macht keine konkreten Angaben, nennt keinen Namen und behauptet zu meiner Überraschung, die Enkelin von Adolf Hitler zu sein. Ich nehme an, sie meint das in einem übertragenen Sinn. Ich habe lange darüber nachgedacht. Trotzdem sehr befremdlich das alles.

 

Ich legte das Manuskript oft genug wieder aus den Händen und wollte es gar nicht so genau wissen. Ich gehöre einer anderen Generation an, einer Generation, die schon wieder ganz anders mit diesem Thema umgeht. Ich habe meine eigenen Probleme und ganz bestimmt nicht die Probleme dieser Frau. Trotzdem habe ich sie ernst genommen, obwohl man nie so genau weiß, ob man alles glauben soll, was in diesem Buch steht.

 

Sie muss ungefähr in meinem Alter gewesen sein, als sie ihre Geschichte aufschrieb, so um die dreißig. Das Buch endet Mitte der neunziger Jahre, und bis jetzt scheint sie keinen Verleger gefunden zu haben. Aber es ist für ein Publikum gemacht, ich bin mir sicher. Das Manuskript ist zwar nur lose gebunden, aber doch mit Seitenzahlen versehen, mit einem Titel, einem Anfang und einem Ende.

 

Vielleicht wollte sie es zum damaligen Zeitpunkt noch nicht veröffentlichen. Es könnte ganz unterschiedliche Gründe dafür geben, ich will keine weiteren Spekulationen in die Welt streuen. Und ich möchte diese Biografie nicht allein mit mir herumtragen.

 

Ich kann sie weder zum Altpapier geben noch ins Geheimfach zurücklegen. Ich kann aber auch nicht so tun, als hätte ich sie nie gelesen und lege sie somit vertrauensvoll in Ihre Hände.

 

gez. Maria Sommerfeldt 

 

 

 

 

 

 

Wie gierig kommt diese Welle heran, als ob es Etwas zu erreichen gälte! Wie kriecht sie mit furchterregender Hast in die innersten Winkel des felsigen Geklüftes hinein! Es scheint, dass dort Etwas versteckt ist, das Werth, hohen Werth hat. – Und nun kommt sie zurück, etwas langsamer, immer noch ganz weiss vor Erregung, – ist sie enttäuscht? – Hat sie gefunden, was sie suchte? Stellt sie sich enttäuscht? – Aber schon naht eine andere Welle, gieriger und wilder noch als die erste, und auch ihre Seele scheint voll von Geheimnissen und dem Gelüste der Schatzgräberei zu sein. So leben die Wellen, – so leben wir, die Wollenden! – mehr sag ich nicht. So? Ihr misstraut mir? Ihr zürnt auf mich, ihr schönen Unthiere? Fürchtet ihr, dass ich euer Geheimnis ganz verrathe? Nun! Zürnt mir nur, hebt eure grünen gefährlichen Leiber so hoch ihr könnt, macht eine Mauer zwischen mir und der Sonne – so wie jetzt! Wahrlich, schon ist nichts mehr von der Welt übrig, als grüne Dämmerung und grüne Blitze. Treibt es wie ihr wollt, ihr Übermüthigen, brüllt vor Lust und Bosheit – oder taucht wieder hinunter, schüttet eure Smaragden hinab in die tiefste Tiefe, werft euer unendliches weisses Gezottel von Schaum und Gischt darüber weg – es ist mir Alles recht, denn Alles steht euch so gut, und ich bin euch für Alles so gut: wie werde ich euch verrathen! Denn – hört es wohl! – ich kenne euch und euer Geheimnis, ich kenne euer Geschlecht! – Ihr und ich, wir sind ja aus Einem Geschlecht! Ihr und ich, – wir haben ja ein Geheimnis!

 

Friedrich Nietzsche

 

 

 

 

 

 

 

 

 Zeichenstunde

 

Meine kleine Tochter ist jetzt drei Jahre alt. Sie hockt neben mir auf dem Boden und kritzelt auf einem Stück Papier herum, während ich mich bemühe, den Ausführungen des Dozenten zu folgen.

 

Das Aktmodell wechselt in eine andere Position und zeigt uns seinen schönen Hintern. Wir sollen auf jeden seiner Muskeln achten und die Schraffuren nicht willkürlich setzen. Die Arme hat er im Nacken verschränkt – kreuzklingenartig, wie durch-geXt.

 

Die Stunde ist gut besucht, der Saal bis auf den letzten Platz belegt und niemandem ist eine Hysterie anzumerken. Wir haben gelernt, uns zu beherrschen – der Reiz des nackten Körpers liegt allein in seiner Unerreichbarkeit, der schöne Körper dient allein der Kunst.

 

Wir lassen uns stimulieren, wir töten im Affekt – doch nur auf dem Papier – ganz abstrakt, ganz ungefährlich. Wir sind Meis-terschüler und verstehen unser Metier. Wir beherrschen das Material, die Komposition, die Struktur. Wir bringen die Sache auf den Punkt, die Linie zur Fläche.

 

Es riecht nach Stahlgewitter. Der Dozent lässt ihn strammstehen und der Befehlsempfänger verlagert sein Gewicht: Spielbein, Standbein – ein Hintern in Bewegung, schöne Aussichten, kunstvolle Begegnungen und die längsten Beine, die ich je bei einem nackten Mann gesehen habe. Unwichtig! – die passen sowieso nicht aufs Bild. Reine Zeitverschwendung.

 

Verflucht, was mach ich nur? Die Stunde hat gerade erst begonnen und schon läuft mir die Zeit davon.

 

Ich würde gern in seine Schenkel beißen, an seinen Waden knabbern und an seinen Zehen lutschen. Rein naturalistisch betrachtet handelt es sich hierbei um eine Studie. Ja, ja, wir sind vernünftig geworden. Bevor man uns nacktes Fleisch vor die Nase setzte, haben wir gelernt vegetarisch zu denken – junges Gemüse, zartes Gemüse, Rohkostsalat – lecker.

 

Der Hintern steht im Mittelpunkt – ein Torso, der Rücken wird nur kurz bis zum Halsansatz gestreift. Der Kopf fällt nach vorne weg, der Nacken ist ausrasiert, die Arme spielen keine große Rolle. Vor uns steht eine anatomische Meisterleistung, wohl proportioniert. – Mir ist so schlecht.

 

Ist doch ein Jammer, wenn man bedenkt, wie vergänglich so ein Körper ist. Er könnte krank werden, Selbstmord begehen oder einem Verbrechen zum Opfer fallen. Oder bei einem Unfall ums Leben kommen. Vom Leben verbraucht und alt werden. Mein Gott! – man kann sich das gar nicht vorstellen.

 

Der Dozent lässt ihn fallen wie eine heiße Kartoffel. Man möchte sich über ihn beugen, ihn küssen und sehen, ob er noch atmet. Der Oberkörper ruht auf einem Podest, die Arme hängen schlaff herunter, mit einem Bein stützt er sich ab, der Kopf fällt nach hinten über …

 

Du solltest der Liebe geopfert werden, bevor man dich zu Tode schleift, ertränkt oder erdrosselt, du Kurzzeitlebiger! – Ich bete, dass er liegen bleibt, aber schon richtet er sich auf, geht in die Knie, legt seinen Kopf in den Schoß und schnürt sich wie ein Paket zusammen. Die uneinnehmbare Festung. Das Leben prallt an diesem Rückenpanzer ab und lässt mich wie eine Schweißperle von seiner Stirn tropfen. Ich falle …

 

Nächste Position … Er steht auf und dreht sich zu uns herum. Aber wir haben keine Zeit für Details. Das Wesentliche soll fest-gehalten werden, der Mensch in seiner Einheit, in seinem Gleichgewicht.

 

Ich kratz dir die Augen aus! – Das Papier reißt und ich nehme einen anderen Stift … – Man sollte dich zur Schlachtbank führen! – dem Troilos gleich, den Achill von seinem hohen Ross herunter an den Haaren schleifend zum Altar des Apollon Thymbraios zerrte, den todbringenden Gott und Beschützer der Trojaner zu besänftigen. Am Brunnenhaus vor den Toren Trojas gelegen hatte Achill dem Troilos aufgelauert – dem Jüngling, der fast noch ein Knabe war, als er Frauen und Mädchen aus der belagerten Stadt herausbrachte, Wasser zu holen. – Aber es ist Achill, der vor mir steht … – Und ich werfe mich in den Staub vor deine Füße und vor deine …

 

Hab Mitleid, edler Achill! Er ist jung, lass ihn auf seinem hohen Ross! Es ist ein sinnloses Morden, ein nutzloses Opfer und wird weder dich noch viele deiner Kampfgenossen vor dem sicheren Tod bewahren. – Aber der Grieche zeigt mir die kalte Schulter und schleudert den herbeieilenden Brüdern, und allen voran dem Hektor, den Kopf des Troilos entgegen. Er kennt keine Gnade, da ist keine Zärtlichkeit, die er zulassen würde. Und der Kohlestift zerbricht sofort an diesem Urgestein der Kälte, zerbröselt. 

 

Er verlangt nach hartem Graphit. Aber der Strich, den er mir abverlangt, gefällt mir nicht. Harte, feste Striche, die mein Papier verwüsten. Du Scheißkerl! Ich brech dir jeden Knochen im Leib!

 

Er stellt sich breitbeinig in Positur. Der ganze Körper fällt aus dem Rahmen. Warum hält er sich nicht an die Gesetze der Schwerkraft? Ich verliere langsam den Boden unter den Füßen. – Mama! – Das Kind ruft nach mir. – Mama! – Kind, sei still …

 

Der Dozent hat ein Faible für zu groß und zu hager gewachsene Modelle – Astralkörper, die sich mit ihren langen, schmalen Gliedmaßen sämtlich dem Format meines Zeichenblocks verweigern.

 

Der Dozent ist ein Ästhet, der mir noch keinerlei Speckschwarte gegönnt hat. Sogar die Tannenbäume auf seinen Weihnachts-grußkarten sind rank und schlank, fast schon dürr. Er ist ein Designer und kein Künstler, obwohl er sich natürlich für einen hält. Bei der letzten Dozentenausstellung konnte ich mich von seinen Ambitionen überzeugen. Und er versteht es ja wirklich ausgezeichnet, diese langen Körper, männlich wie weiblich, stromlinienförmig auf vier Meter lange Leinwände zu bannen. Aber das ist auch keine Kunst. Ich sitze hier vor einem DIN A 2 Block und der Kerl passt nicht drauf. Ich hacke ihm die Hände ab, reiße ihm die Haare vom Kopf und fange an zu schwitzen. Die Ohren wie von Maden angefressen, der Mund hängt läppisch an der falschen Stelle und die Stirn wölbt sich unverhältnismäßig hoch über viel zu kleinen Augen. Dabei hat er wunderschöne Augen. Und sieht mich nicht an! Mir ist ganz elend zumute. Wenn du wüsstest, was ich mit dir mache …

 

Nächste Position im Sitzen. Ein Denker? – Äußerst unglaubwürdig. Er ist viel zu schön um wahr zu sein. Und ich sehne mich nach meinem Lieblingsmodell, ich freue mich auf die nächste Sitzung, auf jedes Pfund meiner übergewichtigen Freundin, von der das Papier gar nicht genug bekommen kann. An der ich mich gar nicht satt sehen kann. Reines Privatvergnügen. Ich bevorzuge füllige, gedrungene Fettleiber – bis an den Rand. Und immer gibt es etwas Neues zu entdecken – ein Fettpölsterchen hier, eine Speckfalte da, und werde nicht müde, mich an diesem Körper abzuarbeiten.

 

Der Kohlestift liebkost jedes Gramm ihrer üppigen Figur, umschmeichelt jede ihrer Rundungen und verausgabt sich an den riesigen Brüsten, die voll und schwer auf ihrem Bauch hängen. Ich knete mich durch jeden ihrer Fettwulste hindurch und ruhe sanft in ihrer weichen Scham.

 

An diese Oberschenkel könnt ich mich verschwenden … Ich muss es unbedingt in Aquarell versuchen … und stoße unsanft an ihre knochigen Knie. Gut für den Kontrast, die schmalen Fesseln und die zierlichen Füße lassen ihren Körper umso wuchtiger erscheinen.

 

Sie liegt auf meinem Bett und bequemt sich – Kissen im Rücken, die Beine leicht angewinkelt und schlecht gelaunt. Also bringe ich noch ein Kissen, oder zwei und vielleicht ein Polster für den Nacken, aber Gnädigste bleibt ungenießbar und versucht mich von der Arbeit abzuhalten.

 

Sie hat Durst, also bringe ich eine Cola oder einen Himbeersaft, ganz liebenswürdig, aber der Mund wird ihr klebrig und es braucht noch ein Wasser …

 

Nackenmassage gefällig? – Oder sie friert … Das Fenster bitte schließen! – Und endlich ist die Luft stickig geworden … Das Fenster bitte öffnen! – Die Musik lauter machen oder leiser, je nachdem, wenn überhaupt. Manchmal braucht sie den Straßenlärm, gute Unterhaltung, vielleicht doch eine Musik? Oder den Fernseher? Oder besser eine absolute Stille, wie du willst … – Und manchmal darf ich sie zeichnen.

 

Sie erträgt meine Anwesenheit mit Fassung – gleichgültig könnte man sagen, und steht mir eine Stunde, aber nicht regungslos zur Verfügung. Das Bein wird ihr schwer und sie muss sich ein wenig zur Seite legen. Manchmal schläft sie ein und schnarcht. Oder der Rücken schmerzt und sie muss sich auf den Bauch legen.

 

Sie jammert gern. Sie fühlt sich zu dick und schockiert mich mit irgendeiner neuen Diät. Ständig droht sie mit Gewichtsverlust. Ich muss noch besser auf ihre Figur achten.

 

Die Bauchdecke hebt und senkt sich mächtig. Der Bauchnabel ist eine besondere Herausforderung, die Arme lenken seitlich davon ab. Sie schaut hinüber zum Tisch, den ich für uns gedeckt habe, und schenkt mir einen ihrer verächtlichen Blicke. Käsesahnetorte. Ich fürchte um jedes Stück Fleisch meiner liebsten Freundin und mäste sie so gut es geht. Dank hab ich keinen zu erwarten. Fürs nächste Mal verspreche ich Schwarzwälderkirsch.

 

Das Aktmodell auf dem Podium kann man sich nicht einmal essend vorstellen und überhaupt verbietet sich jeder sinnliche Gedanke beim Anblick dieser Bohnenstange. Wenn ich bedenke, seit wie vielen Wochen, seit wie vielen Stunden mich dieser Anblick schon quält. Aber ich tue ihm unrecht. Mir schmerzen die Finger, die Eitelkeit … – Wenn er doch nur reden würde! Ich möchte seine Stimme hören, die samt und sonders an Seide denken lässt. Wildseide! – Aber er spricht nicht. Er kommt ohne ein Wort in die Stunde, lässt seine Hüllen fallen, und mich im Regen stehen. Der Schönling, der seine Arroganz genießt und uns keines Blickes würdigt. Er hat sich auch noch nie eine unserer Zeichnungen angesehen. Aber wahrscheinlich würde ihm nicht gefallen, wie ich über seinen Körper herfalle. Eiskalt.

 

Langsam und bedächtig wechselt er von einer Position in die andere und ich muss an meine griechischen Helden denken. So müssen sie ausgesehen haben … – Und schon rammt er den Dolch mit einer schnellen Drehung des Oberkörpers in den unsichtbaren Feind. Es folgt Stellungswechsel auf Stellungswechsel. Nicht länger als eine Minute. Der Stift jagt nur so übers Papier. Er wirft den Speer weit übers Feld und tödlich getroffen reißt es den gegnerischen Soldaten vom Pferd. Der Dozent bringt ihm ein Schwert und schon hat Achill seinem Gegenüber mit einem wuchtigen Hieb den Kopf abgeschlagen. Unbarmherziger Krieger …

 

Meine Tochter hängt mir am Rockzipfel und bittet darum, endlich zu gehen. Sie hat Hunger und ich werde das Schlachtfeld früher als sonst verlassen müssen. Der Schnellfüßige wirft mir einen ungläubigen Blick zu. Er löst seinen Zopf und fährt sich mit einer betont lässigen Handbewegung durchs Haar, schüttelt seine dunkle Mähne in meine Richtung und streift sich eine Strähne aus dem Gesicht. Es liegt eine unmissverständliche Drohung in seinem Blick. Aber ich halte diesen Blick aus und fühle mich einmal nicht mehr klein und unscheinbar. Ich gehe! – und du wirst mir deinen Dolch nicht ins Herz stoßen können. Mein Name ist auch nicht Penthesileia … – Obwohl ich mit ihm kämpfe wie mit einem wild gewordenen Stier. Nur ein einziger Blick? – Ausgeschlossen, ich habe gar kein Herz. Jedenfalls nicht an diesem Ort. Nicht in dieser Stunde. Aber der Saum meines Kleides ist blutverschmiert …

 

Was bildest du dir eigentlich ein? Komm mir bloß nicht zu nah! Ich werde alle Blätter verbrennen, wo auch nur der Hauch deines Körpers zu ahnen ist. Alles zerfleddert … – Ich werde dich aus meinem Gehirn streichen! Du bist ja nicht wert, dass man an dich denkt! Jedenfalls nicht an diesem scheußlichen Ort, nicht in dieser schrecklichen Stunde.

 

Du hast hässliche Füße, weißt du das? – Aber deine Füße sind das einzig Brauchbare an deinem Körper. Die Ferse, die Verwundbare … – Nur leider habe ich keine Zeit für deine Füße. Die Füße habe ich abgeschnitten, genau wie deine Hände. Entschuldige, aber es braucht Zeit für Hände, weißt du. Ein Gesicht geht schnell, aber Hände und Füße brauchen Zeit. Vielleicht bei Gelegenheit … Und die Füße in der Nacht … – Wie heißt du eigentlich? Mich wundert, dass du nicht frierst. Diese Kälte … – Und zieh doch bitte deinen Bademantel an …

 

In dieser Kälte kann ich nicht denken. In dieser Kälte kann ich noch nicht einmal deinen Namen hören. Ich muss schnellstens von hier verschwinden. Tut mir leid, aber ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Sei tapfer, mein Held! Wir sehen uns nächste Woche … – Wir haben doch einen Termin! … Aber mit Schicksal hat das überhaupt nichts zu tun … Und jetzt keinen Schritt weiter! … Ich will das Kind nicht verlieren … Denk an Troja! Frauen und Kinder hast du unbeschadet gehen lassen. Meine Tochter hat Hunger und ich muss zurück in die Stadt hinter die schützenden Mauern.