Kopfeigene Hüte

 

 

 

 

Manchmal verliert man den Kopf oder andere Körperteile, die Liebe oder andere Gebrauchsgegenstände, die Lust oder andere Alltäglichkeiten, den Halt oder andere Kleidungsstücke, das Leben oder andere Scheußlichkeiten … – Manchmal gewinnt man einen Blumentopf oder andere Trophäen, einen Weltrekord oder andere Nebensächlichkeiten, eine neue Dimension oder andere Trostpreise, neue Einsichten oder die passende Haarfarbe.

 

Manchmal findet man ein teuflisches Vergnügen an ollen Kamellen.

 

 

 

Szenische Texte von Silvia Kiefer

 

 

 

 

Part of … – freies Theaterensemble hatte Premiere am 20. Juni 1997 im KUZ, Mainz

 

 

 

Es spielten:

 

Part 1 / Jürgen List

 

Part 2 / Silvia Kiefer und Andreas Wahl

 

Part 3 / Andreas Wahl

 

Part 4 / Konrad Dorenkamp

 

Part 5 / Carmen Stall und Jürgen List

 

Part 6 / Heike Netscher

 

 

Musik / Thalamus Projekt / Oliver Gassl, Nils Nolte und Theodor Köhler

 

 

Licht / Michael Ambach

 

 

 

 

Ulrike Till schrieb in der Mainzer Rhein-Zeitung:

 

"Hat irgend jemand meinen rechten Fuß gesehen? Er will auf eigenen Füßen stehen. Ich bin ihm wohl eine zu große Last." Humpelnd schiebt sich der Mann mit Hut durchs Publikum und inspiziert gewissenhaft die Zuschauerfüße auf der Suche nach seinem entlaufenen Körperteil. Auch sein Ohr ist ihm abhanden gekommen, ein Auge und die linke Pobacke haben sich gleichfalls davongestohlen. "Vollversammlung eines gewöhnlichen Menschen" heißt die skurrile Eröffnungsnummer von Silvia Kiefers siebenteiliger Szenencollage "Kopfeigene Hüte", die jetzt im KUZ Premiere hatte.

 

Erst ganz allmählich erschließt sich, was die unterschiedlichen "Parts" der Aufführung lose verbindet: Jeder der sieben Akteure hat etwas verloren – "den Kopf oder andere Körperteile, die Liebe oder …"

 

Trotzdem zieht sich kein roter Faden durch den Abend, die einzelnen Szenen stehen weitgehend isoliert nebeneinander – selbst beim turbulenten Finale mit allen Spielern der Gruppe "Part of" steht jeder für sich allein.

 

Texte mit bizarrer Poesie

 

Dass die 77 Zuschauer – vor der Pause werden sie exakt durchgezählt – dennoch gespannt folgen, liegt an zweierlei: an der bizarren Poesie von Kiefers Texten, in denen "fickende Feuerkäfer" sich mit den "Liebestoten aller Länder" vereinigen; und am Einsatz der Schauspieler, die beachtliches komisches Talent entfalten. Besonders Heike Netscher als verführerische Wassernixe im grünen Abendkleid, abwechselnd lasziv tanzend und ausgelassen in der Wanne planschend, begeistert mit ihrer sinnlich-heiteren Präsenz. Ihr Auftritt wird zum bejubelten Höhepunkt des Abends.

 

Auch Konrad Dorenkamp in der Rolle des eitlen Weltmeisters, "Nummer eins in allen Disziplinen", spielt den überheblichen Narziss charmant und witzig. Seinen Prahlereien hört man ebenso schmunzelnd zu wie Jürgen Lists unterhaltsamer Suche nach verschwundenen Körperteilen.

 

Ein paar schwächere Momente hat hingegen das "Alltagsgespräch" zwischen Silvia Kiefer und Andreas Wahl: Zerschmissenes Geschirr alleine reicht nicht, um die Ausbrüche einer Hassliebe abzubilden. Überzeugender sind die beiden in den leisen Passagen, wenn er flehendlich fragt: "Kommst du zu mir ins Geäst?"

 

Carmen Stall als mordlüsterne Braut zeigt eine andere Variante missglückter Paarbeziehung; schmollend hält sie dem Geliebten vor, er würde sie wohl mit einem Käfer verwechseln.

 

Fragmente verknüpft

 

Die meditativen Klänge und nervösen Rhythmen des "Thalamus Projekts" (Oliver Gassl, Nils Nolte, Theodor Köhler), das vor allem mit Querflöte, Bass und Synthesizer arbeitet, verknüpfen die sieben Fragmente miteinander. Am Ende ist aus sieben Stückchen absurden Theaters ein surrealer Bilderbogen entstanden, den man nur ungern wieder zuklappen sieht.