Himbeergeschmack

 

 

 

 

Arabeske:

 

– Der Tod riecht jetzt besser! – Man sollte dein Gehirn außer Funktion setzen! – Die Leichen duften nach Frühling, genau wie all die Handtücher und Bettlaken. Weichspüler! Meine Nase ist ewig verstopft und der Frühlingsgestank will überhaupt nicht mehr aufhören, in meinem Schädel zu brummen. Mir ist so schlecht, aber keine verdammte Sau unternimmt hier irgendetwas dagegen!

 

 

 

 

Theater im KUZ – freies Ensemble in Kooperation mit dem Kulturzentrum Mainz  

 

Es spielten:

 

Fliegenkönig / Konni Dorenkamp

Frau / Uli Rissel

Arabeske / Heike Netscher

Rebecca / Alex Merz

Prometheus / Verena Blatz

Soldat / Jürgen List

Kartoffelmädchen / Annelie Sieben

Herr Eberlein / Otto Heiser

Doktor / Carsten Wilhelm

Mutter / Constanze Schuler

Butler / Jürgen Reinisch

Narrenkapp / Jürgen Ritter

 

 

Text und Regie / Silvia Kiefer

Licht und Töne / Tim Sandrock

Fotos / Peter Thomas

 

 

Premiere am 23. April 1995, weitere Aufführungen am 24., 25. Und 27. April 1995 im KUZ, Mainz

 

 

 

 

 

Tanja Zech schreibt in der Mainzer Allgemeinen Zeitung:

 

Experiment, Irrenhaus oder Bunker?

 

Himbeergeschmack klebt den Zuschauern während der Aufführung des gleichnamigen Stückes … süß auf der Zunge. Mit einem Himbeerbonbon auf jedem Stuhl macht Silvia Kiefer dem Publikum ihre aktuelle Produktion schmackhaft.

 

… "Himbeergeschmack" lässt sich nicht bequem im Stuhl zurückgelehnt konsumieren, sondern fordert dem Zuschauer einiges an Assoziationsvermögen ab. Am Ende nimmt jeder seine individuelle Interpretation der Handlung mit nach Hause.

 

Ein Mann (Konni Dorenkamp) stürmt hysterisch, mit einer Fliegenklatsche wedelnd, in den kahlen Bühnenraum, setzt sich an einen Tisch und verfällt in eine introvertierte Starre, während hinter ihm hektisches Treiben losbricht. Weitere Akteure stürmen herein, stellen Tische und Stühle auf und ziehen stumm und mechanisch ihre Kreise: Der Hysterische verteilt, sich selbst zum "Fliegenkönig" erhebend, die Rollen für ein Spiel, einem Weltspiel.

 

Der abgeschlossene Raum wird zum Mikrokosmos, die zwölf darin agierenden Personen bilden ein kurioses Gesellschaftstableau. Da gibt es den Engel (Heike Netscher), der für die Welt beten soll, es aber satt hat, immer nur Gutes zu tun, das böse Kartoffelmädchen (Annelie Sieben), das sich aller unliebsamen Liebhaber entledigt hat, die Mutter (Constanze Schuler) – eigentlich möchte sie Opernsängerin werden, aber die Welt braucht schließlich Kinder –, den Doktor (Carsten Wilhelm), der die menschliche Existenz auf nüchterne biologische Funktionen reduziert, den Arbeiter (Otto Heiser), der auf pünktliche Mahlzeiten besteht, eine weibliche Prometheus-Figur, Gefangene ihrer Zwangsneurose (Verena Blatz), dann die kämpferische Furie (Alex Merz), den Soldaten (Jürgen List) in Lederkluft, den Butler (Jürgen Reinisch), der schon immer diente, und schließlich den zufällig hereinplatzenden Narren (Jürgen Ritter), der als einzige "echte" Person frei ist, aus dem Tableau auszubrechen.

 

Der selbsternannte Fliegenkönig versagt in der Metapher des satanischen Herausforderers, der die Welt regieren will. Er verliert die Macht über seine Figuren. Sie verweigern sich ihren Rollen, treten miteinander in Wechselbeziehungen und offenbaren ihre Schwächen. Beobachten wir ein Sozialexperiment, sind wir etwa im Irrenhaus, haben wir die in einem Bunker isolierten Überlebenden der Apokalypse vor uns? Alles ist denkbar in diesem Stück, in dem sich Fragmente aus Mythologie, Zeitgeschichte, Gegenwart und Zukunftsvisionen durchdringen. Die Grenzen zwischen Einbildung und Realität verschwimmen. Eine Frau (Uli Rissel) kommt mit einer Suppenterrine herein. Womöglich war alles nur ein Gedankenspiel?