Die Schiedsrichter

 

 

 

– Jetzt sei endlich still und beruhige dich! Schau, dort ist dein Platz (und zeigt auf das Hotel). Du hast ihn dir doch ausgesucht. Weißt du nicht mehr? – Du brauchst keine Angst zu haben. Geh … – Wir haben dich lange genug beobachtet und uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Siehst du … es ist ein schönes Zimmer und deine Erinnerungen warten schon auf dich.

 

Text aus dem Stück Die Schiedsrichter. Das Stück wurde von der Theatergruppe Theater im KUZ am 10. März 1994 uraufgeführt und am 14. März 1993 noch einmal gespielt.

 

 

 

 

Nicht, dass es mich vom Hocker gerissen hätte. Nein, das war einfach nicht möglich. Dieses Stück hatte mich an meinen Sitzplatz gefesselt.

Die Inszenierung war mutig. Sie war aber auch in vielen Bildern überraschend. Und sie hat, und das sicherlich nicht nur mich, geschockt. Geschockt deshalb, weil sie dem Zuschauer wie ein Spiegel vorgehalten wurde. Weil einfach jeder sich in irgendeinem Bild wiedererkannte, sich wiedererkennen musste.

Der Anfang war vielleicht etwas langatmig, etwas schwierig. Und so mancher Betrachter dachte wohl schon darüber nach, was er eigentlich hier soll. Doch sehr lange dauerten diese Überlegungen nicht. Denn die ersten Bilder bereiteten, wenn auch nicht gerade sanft, auf das nun Kommende vor. Und was da kam, war hart gezielt und treffend. Der Mensch in seiner ganzen Unvollkommenheit. Mit all seinen Selbstzweifeln und all seiner Unbeholfenheit. Und nur die Jugend ist in der Lage, sich diesem Zustand zu entziehen, ihn anzuzweifeln. Sich dagegen zu wehren!

Aber wie lange?

Da ist ein Haus voller Menschen, die sich bereits aufgegeben haben. Die sich in ihren eigenen Widersprüchen gefangen haben und denen die "Schiedsrichter" ganz langsam die Grundlage ihrer Existenz entzogen haben. Und nicht nur das. Sie haben ihre Existenz, den Sinn ihres Daseins, vergessen, und den Glauben an sich selbst verloren.

Und es gibt das Ehepaar, das verzweifelt versucht, sich gegen das Unvermeidliche zu wehren. Aber da es nicht in der Lage ist, miteinander zu kommunizieren, wird jeder Versuch, miteinander zu reden und dadurch Meinungsverschiedenheiten auszuräumen, durch einen aufkommenden Streit sofort erstickt. Und wieder erscheinen die Schiedsrichter auf der Bühne und entziehen dem Paar eine weitere Grundlage zur Kommunikation.

Und in seiner Hilflosigkeit geht das Paar den Weg des geringsten Widerstandes. Indem es sich alles wegnehmen lässt, was unvermeidlich zu einem Streit führen kann.

Und hier muss nun der Zuschauer erkennen, wie wichtig so genannte Unwichtigkeiten sind. In diesem Stück sogar lebenswichtig.

Wenn einem Menschen ganz langsam alle Möglichkeiten zur Kommunikation entzogen werden, wenn das Vergnügen verboten wird, weil ja die Gefahr eines Streites besteht, Streit aber unbedingt vermieden werden soll, weil unangenehme Dinge nicht mehr existent sein sollen. Wenn es also keinen Spaß, keine Unannehmlichkeiten, keinen Ärger, keine Freude und auch keine Trauer mehr für den Menschen gibt …

… dann hat er nichts mehr, was in unseren Augen Leben bedeutet. Er steht vor dem Nichts! Hat nur noch sein eigenes totes Ich. Und alles andere ist für ihn unwichtig. Er vegetiert in der Leere und dem Nichts … und wird, wie in diesem Fall, lebendig begraben.

Einzig die Jugend und die, die sich ihre Jugend und damit auch ihre Unbekümmertheit bewahren konnten, haben noch eine geringe Chance.

All dies trifft aber mit Sicherheit nicht auf die Darsteller zu. Sie leben!! Und wie … Denn nur, wer wirklich lebt, kann die einzelnen Personen dieses Stückes so hervorragend darstellen.

 

Fazit: Das deutsche Theater lebt

Dieses Stück macht Mut, macht Lust auf Mehr. Und es beweist, das es durchaus möglich ist, auch dann gutes Theater zu machen, wenn die Möglichkeiten nur begrenzt zur Verfügung stehen.

Die Verbindung von visuellen, körperlichen und sprachlichen Elementen habe ich jedenfalls niemals zuvor in einer so wundervollen und beeindruckenden Verbindung erlebt.

Und ich habe schon viel gesehen.

 

Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen. Ich musste etwas über das Stück schreiben.

Vielleicht ist es ein kleiner Anhaltspunkt, wie es beim Zuschauer ankommt, wie es auf ihn wirkt. Natürlich ist dies nur meine Meinung, meine Kritik. Aber ich wollte es doch gern an dich weitergeben. Es bleibt dir überlassen, was du damit anfangen kannst oder anfangen wirst.

Leider konnte ich es Dir nicht vor der heutigen Vorstellung zukommen lassen. Aber das ist wohl nur zweitrangig. Wie auch immer. Ich wünsche dir und deinen Mitspielern weiterhin so viel Lust am Schauspielen und mir … und vielen anderen … einen noch mal so wertvollen und schönen Theaterabend.

 

Liebe Grüße

Ronald

 

Den ich nie kennen gelernt habe (Anm.: Silvia Kiefer)

 

 

 

 

Absurder Urlaub

 

Birgit Adler schreibt am 12./13.März 1994 in der Mainzer Rhein-Zeitung:

 

Ironie ist ein literarisches, rhetorisches oder kommunikatives Stilmittel. Eine Redeweise, bei der häufig das Gegenteil des Gesagten gemeint ist. Geschickt dosiert, an der richtigen Stelle platziert, ist ihr die angepeilte Wirkung sicher. Was aber, wenn Ironie zum roten Faden eines Theaterstücks herhalten soll? Wenn, wie in dem Stück "Die Schiedsrichter" von Silvia Kiefer, das derzeit im Kulturzentrum zu sehen ist, alles nur noch Ironie ist? Der Effekt: Man kann sich mit dem Dargestellten nicht identifizieren, aber auch nicht durch Lachen davon distanzieren.

Konsequent gesteigert, führt Ironie zur Groteske, zum Absurden Theater. Dieses aber rechnet mit Betroffenheit, will am Schluss den Zuschauer doch erreichen, weil hinter der entstellten Wirklichkeit immer der Anspruch auf eine bessere Wirklichkeit steckt. In Silvia Kiefers zehn ironischen Bildern allerdings blieb die Betroffenheit schier aus. Gezeigt wird darin eine Gruppe von Urlaubern, die gefügig ihr Ferien-Schicksal in die Hände von zwei emotionslosen Reiseleitern legt. Nicht sie selbst wissen, was sie wollen, sondern die Reiseleitung diktiert stereotyp die Bedürfnisse der Menschen, verordnet Ruhe und Tatenlosigkeit, schlichtet Streit, beseitigt übertriebene Emotionen. Das einzige, was bleibt, ist das anarchische Spiel der Kinder.

Doch auch beim Murmelzählen, Kasperlespiel und Sandburgenbau führen die rationalen Regeln einer geordneten Erwachsenenwelt sofort wieder Regie. Wo sie können, unterbinden die beiden autoritären Reiseleiter jeden Versuch selbst bestimmter Handlung, unterbrechen jedes eigenverantwortliche Spiel. Einzig ein junges Mädchen unterbricht für Augenblicke mit ihren bohrenden Fragen die verordnete Langeweile, Lethargie und Resignation der Reisenden: "Stell dir vor, es gibt hier Leute, die den ganzen Tag einfach nichts tun."

Doch auch die junge Aufrührerin bleibt vom ironischen Rundumschlag der Inszenierung nicht verschont. Ihre ernst gemeinte Rebellion geht am Ende unbeachtet unter, reiht sich gleichsam ein in den zersetzenden Zerrspiegel dieses skurrilen Theaters. Fast ist es so wie bei Becketts "Warten auf Godot", beinahe wie bei Ionescos "Stühlen", nur, dass die Betroffenheit, das selbstbezogene Kopfschütteln, die Frage nach dem "Warum" ausbleiben, das, was die Kunst der Ironie, des Absurden ausmacht.

 

 

 

 

 

Es spielten:

 

Reiseleiterin / Anke Freimuth-Mischlich

Reiseleiter / Günther Glöckner

Frau am Strand / Claudia Kanis

Mann am Strand / Hardy Müller

Die Neue / Silvia Kiefer

Alte Frau im Sommerkleid / Doris Geiger

Die Schöne / Sascha Broska

Mann im Bademantel / Hans Mayer

Barkeeper / Jürgen Reinisch

Liebhaber / Roland Metzger

Junges Mädchen / Cornelia Dörr

 

Text und Inszenierung / Silvia Kiefer

Licht und Töne / Tim Sandrock

Fotos / Peter Thomas